Wolfenbüttel
Allgemeines
Zwischen Harz und Heide, gerade noch im südöstlichsten Zipfel von Niedersachsen und am Fluss Oker gelegen: Die Stadt Wolfenbüttel.
In der Nähe liegt Braunschweig (in dem ihr auf jeden Fall umsteigt, wenn ihr mit der Bahn anreist), die Landeshauptstadt Hannover ist etwa sechzig Kilometer entfernt.
Was weit genug ist, dass die Wollfenbüttler sehr selbstbewusst auftreten und sich erst einmal um sich kümmern und dann um ferne Landesfürsten .
Das war schon früher so! Solange die Stadt Residenzfestung der Welfen war, lebte man gut mit und von diesen. Mitte des 18. Jahrhunderts entschieden die Blaublütigen, dass Wolfenbüttel für die Verwandtschaft des Herzogs Karl I., dessen Schwester direkt mit dem König verheiratet war, zu eng würde. Es folgte der Umzug nach Braunschweig in das dortige Schloss.
Und Wolfenbüttel? Da bei einem solchen Wechsel auch jede Menge Bürger und Handwerker mitziehen, wurde die Stadt ziemlich leer … Hätte man damals doch eines dieser wunderbaren Fachwerkhäuser erwerben können …
Es kommen die Franzosen vorbei, die zum Glück aber wieder gingen. Die kriegerischen Zeiten endeten , die Festungsanlagen wurden zurückgebaut. Die Franzosen standen noch einmal vor den Toren der Stadt - diesmal als Flüchtlinge vor ihrer eigenen Revolution. Zu ihrem Glück waren die Wolfenbütteler nicht nachtragend und die Stadt war zwar weiter recht ruhig, hatte aber nichts mehr zu befürchten.
Wusstet ihr, das der berühmt-berüchtigte Giacomo Casanova ein Literaturliebhaber war? Die Bibliothek hat sein Herz erobert, wie er wohl sonst nur die Herzen der Frauen eroberte …
Was macht man mit so viel Fläche? Gemüse anbauen! Die Stadt wurde zur Gemüseregion Norddeutschlands mit mehreren Konservenfabriken.
Eine sehr wichtige Persönlichkeit für Wolfenbüttel ist Gotthold Ephraim Lessing. Er kam, dem Ruf einer Anstellung als Bibliothekar folgend, und blieb bis zu seinem Tode. Berühmt gewordenen Theaterstücke wie Emilia Galotti und Nathan der Weise entstanden in dieser Zeit. Zum Glück ließ ihm der Verwaltungskram, der auch in seiner Hand lag, genügend Zeit dafür!
Ihm zu Ehren wird heute ein Slogen für das Stadt-Marketing genutzt: #echtlessig. Ja, ohne "n", wie man beim Denken an den berühmten Herrn Lessing denken könnte. Ich habe zweimal hingeschaut!
Schon sind wir im 19. Jahrhundert angekommen und die Franzosen kamen erneut vorbei … Das Ganze dauert nicht so lang, obwohl sie durchaus gute Ideen einbrachten. Allerdings gefielen sie den Wolfenbüttlern nicht so … Kurz gesagt: Das französische Königreich dauerte nicht ewig und es ging zurück in deutsche Hände.
Frauen spielten in Wolfenbüttel eine wichtige Rolle - es gab eine Privatschule für Mädchen und weitere Ausbildungsmöglichkeiten. Die Saat für die Frauenbewegung war gelegt … Im Schloss wurden nur Mädchen unterrichtet, erst viel später durften auch Jungen in diese Schule. Im Schloss werden immer noch Räume dafür genutzt - dazu gibt es einen modernen Bau mit Blick auf die historische Kulisse. So optisch schön dürften nur wenige Schulen liegen!
Wolfenbüttel war Teil der ersten deutschen Staatsbahn nach Braunschweig. Ein wichtiger Anfang für mehr Mobilität! Die Deutsche Bahn weiß den schönen Bahnhof leider nicht zu schätzen und hat aus Wolfenbüttel einen Haltepunkt gemacht - dann braucht sie nämlich keinen Bahnhof zu betreiben.
Zum Glück verfiel dieses Gebäude aber nicht wie so viele andere, sondern ist heute der „Kulturbahnhof“ mit einem Restaurant und Veranstaltungsräumen, in denen Musik, Lesungen und Kabarett ihren Platz haben. Die Bücherei ist auch gleich nebenan.
Zwei Wilhelm spielten literarisch eine wichtige Rolle: Der eine, mit dem Nachnamen Raabe, schrieb Gesellschaftskritisches zum 19. Jahrhundert. Der andere, mit Nachnamen Busch, verpackte es anders - in voller Humor in Bild und Text. Den kennt ihr sicher, oder?
Wissenschaft wurde in Wolfenbüttel auch betrieben - hier erfanden zwei Freunde nicht nur Wesentliches um das Thema Radioaktivität und Atomenergie - sie wandelten auch erstmals Licht in Strom um: die Fotozelle war erfunden.
Der literarisch-kulturelle Teil blieb der wesentlichere - kein Wunder, dass die Einwohner nach der Schließung des Schlosstheaters vehement eine Alternative einforderten! Die Geschichte rund und den Bau des Lessing-Theaters erinnert mich ein wenig sehr an andere Dramen um städtische Bauvorhaben … doch letztlich wurde es fertig, überstand auch Bürokratieauflagen und trägt heute zu einem lebendigen Kulturleben bei.
All das - und viel mehr - könnt ihr in dem wunderbar liebevoll gezeichneten Comic nachlesen, den die Stadt Wolfenbüttel und Tobias Wagner für das 900jährige Stadtjubiläum erschaffen haben! Eine so schöne, witzige und dennoch tiefgehende Darstellung einer Stadtgeschichte hatte ich noch nie zuvor in den Händen - ein echtes Juwel!
Nachdem ihr nun ein bisschen zur Vergangenheit wisst, nehme ich euch mit in die Gegenwart. Und dann sind wir sofort wieder in der Geschichte - die begegnet euch im Stadtkern an jeder Ecke in Form wunderbar schiefer Fachwerkhäuser! Von außen fragt man sich, wie die Bewohner wohl ihre Möbel verkeilt haben, damit alles an seinem Platz bleibt ...
Die Bewohner - und auch die Besucher - lieben zu Recht die Atmosphäre, die durch die besonderen Fassaden entsteht. Ich bekenne, dass ich Wolfenbüttel so gar nicht auf meinem Zettel hatte, bevor mich das Reiseblogger BarCamp im April 2018 hierhin zog. Und was überhaupt ein BarCamp ist und was wir dort erlebten, lest ihr hier: Link zum Artikel
Es folgen die Einblicke in die Sehenswürdigkeiten der Stadt: Noch eher kurz, da unsere Stadtführung aus Zeitgründen eher im Laufschritt stattfand als einem gemächlichem Bummel entsprach … Eben "Wolfenbüttel Express"! Damit ich den nachholen kann, das darf ich hier schon verraten, fahre ich Anfang Dezember wieder nach Wolfenbüttel, diesmal in aller Ruhe und erforsche alles gründlicher !
Anreise
Grob Richtung Hannover, dann Braunschweig und noch ein kurzes Stück z.B. über die A395 oder die B79 weiter - schon steht ihr vor den Toren der Stadt. Auch die Autobahn A39 ist in der Nähe.
Wer mit der Bahn anreist, hat in den meisten Fällen ganz ähnliche Umstiegspunkte in Hannover und Braunschweig. Das verlängert die Anreise etwas - doch das letzte Stück ist eine kleine Regionalbahn, die euch bestens auf das gemütliche Leben in der Stadt einstimmt.
Mit dem Flugzeug geht es international bis Hannover - und auf nationalen Strecken könnet ihr Glück haben und bis zum Flughafen Braunschweig-Wolfsburg kommen.
Ganz gemächlich lässt es sich zu Fuß anreisen: Wolfenbüttel ist Teil des europäischen Fernwanderweges E6. Auf diesem könnt ihr zwischen Kilpisjärvi, einem Dorf im äußersten Nordwesten Finnlands, bis zu den Dardanellen, einer Meerenge in der Türkei, insgsamt gut 5.200 Kilometer wandern ...
Sehenswürdigkeiten
Oh, davon gibt es eine Menge - ich konnte beim ersten Besuch nur ein paar streifen ...
Das Schloss, das zweitgrößte noch erhaltene in Niedersachsen.
Eine Stelle, die "Klein Venedig" genannt wird, aber eher "Klein Amsterdam" heißen sollte. Die für die Stadtgröße besonders beeindruckende Marienkirche, ein Stadtmuseum, genannt das "Bürger Museum" in einer ehemaligen Reit- und Turnhalle ...
Kultur-Programm á la Schaf Paul:
Das Lessinghaus mit vielen Informationen zu diesem. Ein wunderschöner Marktplatz mit einem Rathaus über mehrere Gebäude, die liebevoll restauriert wurden.
Dazu das Lessingtheater, das nach anfänglichen (und zwischenzeitlichen Hürden fester Bestandteil des Kulturlebens ist. Hier spielt ein Abstellgleis ab und an eine besondere Rolle ...
Sehr bedeutend wegen der besonderen historischen Bücher: Die Herzog August Bibliothek, deren Vorgängerin "Bibliotheca Julia" als achtes Weltwunder bezeichnet wurde.
Kulinarik
Auf diesem Gebiet hoffe ich beim nächsten Besuch im Dezember mehr zu entdecken - bisher ist es nur eine besondere Keksart, die meinen Weg kreuzte ...
Veranstaltungen
Wolfenbüttel ist deutlich älter als 900 Jahre - doch 1118, am 13. November, um genau zu sein, gab es die erste urkundliche Erwähnung. Schön, dass wir gerade jetzt diesen runden Geburtstag miterleben!
De Stadt wird sich in diesem Jahr ganz viel einfallen lassen, um gebührend zu feiern!
Damit ihr euren Besuch, auf den ihr - davon gehe ich aus - bestimmt Lust bekommen habt, bestens planen könnt, hier ein Link auf den Veranstaltungskalender: 900 Jahr-Feier